Zwei Wochen vorher als Trainingslauf den Winterthur
Marathon, eine Woche vorher 1700 Höhenmeter auf den Pilatus: ich war
eingelaufen.
Der Ermüdungsbruch im rechten Fuss, der mich im
März/April zu einer sechswöchigen Pause zwang, ist verheilt, die
Herzrhytmus-Störungen plagen mich nicht mehr, ich bin bereit:
Nur das Wetter wollte nicht mitspielen. Zumindest sah
es laut Prognosen so aus. Von acht Wettermodellen haben acht Regen und
Gewitter vorausgesagt:
Dass es schlussendlich bis auf ein paar Tropfen
trockenblieb, grenzt an ein Wunder. Die anderen Läufer sind gläubiger. Ich bin
beim Start einer der wenigen, der eine Regenjacke umgebunden hat.
Bei besten Bedingungen laufen wir in Biel los. Schon
früh treffe ich auf Läufer, die mich aus den Videos erkennen, ich werde sogar
gefragt, ob Christian in diesem Jahr auch wieder dabei sei.
Christian ist in den Ferien, in diesem Jahr begleitet
mich meine Frau und schon ab Lyss. Vorher treffe ich noch auf Werner Sonntag,
den Autor des Kultbuches „Irgendwann musst du nach Biel“, unterwegs als
Erlebnisläufer von Biel nach Aarberg. Es ist mir eine Ehre, ihn anzutreffen.
Was für eine tolle Nacht, perfekt zum laufen. Oder
saufen. An vielen Orten sitzen die Leute draussen vor ihren Häusern und in Restaurants
und sie feiern den schönen Abend mit der speziellen Unterhaltung. Die Stimmung ist
bielerisch.
Die ersten 20 Kilometer gehen im Flug vorbei, immer
finde ich jemandem, mit dem ich reden kann. Die beste Ablenkung bei einem Lauf,
wenn es dunkel ist und die Gegend nicht viel hergibt.
In Lyss kommt meine Frau auf dem Velo dazu, ich kann
ihr meine Regenjacke abgeben, den Rucksack behalte ich an, damit ich den
Fotoapparat darin bei mir tragen kann.
Ich hasse die langgezogene Strecke von 8 Kilometern
vor Oberramsern, diese will nicht enden, doch muss ich mir immer wieder
eintrichtern, dass es eben nicht so ist, ich liebe diese Strecke, die sollte
nie aufhören…
Zum Glück endet sie in Oberramsern, da ist ein Drittel
schon längst vorbei, man kann sich verpflegen und sich darauf freuen, dass
schon bald die Hälfte geschafft ist.
Wenn nur die 50er Tafel kommen würde, wo man sie
gefühlsmässig erwarten würde!
Ich habe zu wenig gegessen, ich komme immer in
Kirchberg an mit leerem Magen. Ich mag nach 40 Kilometer und zwei Kilogramm
Riegeln nichts mehr essen. Brot und Bananen vertrage ich nicht. Meine Frau
zwingt mich in Kirchberg, gleich zwei Gels zu verdrücken. Ich schlucke sie wie
Medizin. Zusammen mit Cola hilft es.
Entlang dem Emmendamm hilft auch das Adrenalin. Dort
werden wir zu Trailrunnern und die Dunkelheit macht das Ganze zu einem
Abenteuer. Ich quatsche einen Läufer an, ob er mitkommen will. Er schliesst
sich mir an. Zuerst zu zweit, später kommen noch mehr dazu, laufen wir in einem
guten Tempo. Nur einer stürzt, ist aber schneller auf den Beinen als wir helfen
können.
Das ist der schönste Teil des Bielers, wenn die Vögel
mit dem Konzert beginnen, der Tag zu dämmern beginnt, da sieht sogar eine
Kläranlage gut aus.
Wir treffen nun wieder auf unsere Begleiter oder
„Coaches“. Ich könnte mich komplett umziehen, wechsle aber gar nichts, ich fühl
mich so sauwohl, ich bin im Läuferhimmel.
Das dauert ein paar Kilometer, jetzt meldet sich die
Wade am linken Bein, die wird immer härter. Jetzt sanft auftreten. Ist das eine
Blase am Fuss, die sich meldet? Die Zehen bewegen und die Socke hin- und
herschieben.
Die Krisen kommen und sie gehen auch wieder. Cola und
Gels helfen. Zwischendurch muss ich ein paar Schritte gehen, ich bin völlig
erschöpft. Ich laufe wieder, nur nicht zu lange gehen, ich schaffe einen
Siebnerschnitt. Slow Motion.
In Bibern geht es hinauf, ein willkommene Abwechslung,
einfach nur gehen ohne schlechtes Gewissen. Beim Hinunterlaufen kommt ein
Staffelläufer, ich frag ihn, ob ich mich anschliessen darf. Einige Minuten kann
ich mit ihm laufen, seine gute Laune und Freude sind ansteckend.
Und plötzlich tauchen Kräfte in mir auf, ich erhöhe
das Tempo und lauf nun wieder mit einem Sechsnerschnitt der Aare entlang, ja
spinne ich, jetzt einen Fünfeinhalber, das wirst du bereuen, aber es läuft so
gut.
Bis Büren an der Aare. Zwölf Kilometer vor dem Ziel. Das
war doch zu schnell und zu viel für den Körper, der will jetzt nur noch ruhen. Wie
fühlt sich das gut an, auf einem Stuhl sitzen und einfach nur sein.
Da meldet sich der Läufer in mir, eine Zeit unter 12
Stunden ist locker machbar, steh endlich auf du fauler Sack, nimm den Gel und
drück ihn hinunter, spül das Ganze mit Cola und dann auf.
Es hilft, wenn man eine Begleiterin dabei hat,
irgendwie fühlt man sich verpflichtet und will sie nicht zu lange warten
lassen. Bringen wir es hinter uns.
Wieder hänge ich mich an andere Läufer und benutze sie
als Pace Maker. Bis der Körper aufgibt und ich mich kurz erholen muss. So
hangle ich mich von einem Läufer zum nächsten und treffe wieder auf einen, der mich
mit seiner guten Laune mitreisst. Er trainiert erst seit zwei Jahren, läuft
jetzt den Bieler und in gut einem Monat startet er am Eigertrail, auch 100 km,
aber mit 6‘700 Höhenmeter. Was für ein Spinner!
Ich muss ihn ziehen lassen und kurz ausschnaufen. Wieder
anlaufen und jetzt nur noch versuchen zu geniessen.
In der letzten Kurve vor dem Festzelt stehen die Leute
und klatschen, mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Der Lauf durch das
Festzelt wird zum emotionalen Hindernislauf, ich weiss nicht, soll ich weinen,
soll ich lachen. So viele freundliche Menschen und alle jubeln sie mir zu. Es
schüttelt mich fast.
Vor dem Ziel kann ich mich wieder fassen und freu mich
daran, dass meine Frau auf dem Velo mit mir über die Ziellinie fahren darf. Die
ganze Nacht hat sie wacker ausgehalten und mich unterstützt.
Vor über 10 Jahren, bei meinem ersten Bieler, war ich
ganz allein im Ziel, wie schön ist es jetzt, in die Arme genommen zu werden.
Läufer gratulieren mir und ich gratuliere anderen
Läufer. Es war eine Freude, mit ihnen allen die Nacht der Nächte zu verbringen
mit allen Hoch und Tiefs.
Nie mehr diese Strapazen, nie mehr rufe ich in die
Kamera.
Einen Tag später rechne ich bereits aus, wie eine Zeit
unter 11 Stunden möglich sein sollte. Wie schnell die Tiefs doch vergessen
sind.
Was den Lauf ausmacht, fragt mich unterwegs der in
einer Staffel laufende Rugby-Spieler.
Es ist nicht die Strecke, es sind nicht mehr die
magischen 100km, die den Lauf ausmachen. Nicht die Medaille, nicht das T-Shirt.
Es ist die Nacht, der Start am Abend, der Lauf durch
die Nacht und die erwachende Natur am Emmendamm. Aber vor allem sind es die
Menschen unterwegs, die Helfer an den Posten, die zujubelnde Menge und die
Mitläufer, die Mitleidenden. Wegen ihnen komme ich jedes Jahr gerne wieder.
Mein Filmbericht, etwas wackelig und ultra-lang geraten:
https://youtu.be/4H8A9gArRZs
Was Google aus meinen Filmaufnahmen gemacht hat:
https://youtu.be/QIOY97WT-yI
Mein Filmbericht, etwas wackelig und ultra-lang geraten:
https://youtu.be/4H8A9gArRZs
Was Google aus meinen Filmaufnahmen gemacht hat:
https://youtu.be/QIOY97WT-yI