Donnerstag, 2. August 2018

2018 Irontrail T88 - laufende Begegnungen

















Wir haben es tatsächlich geschafft. Der 4. Start in diesem Jahr an einem Ultra und der 4. Finish.

Und was für ein Lauf das war. Einer der schönsten, aufregendsten, unterhaltsamsten und freudvollen.

Meine Tochter und ich trafen uns in Zürich unten im Bahnhof vor dem Coop, weil es kühler war unten als oben auf dem Perron. Die Hitze und Trockenheit nimmt stündlich zu. 2018 das Jahr der Rekorde, was die Hitze und Trockenheit betrifft (und inzwischen haben wir viermal soviel Kohlendioxid in der Atmosphäre wie in den 60er Jahren).

Die Wetteraussichten waren nicht schlecht, doch waren sie vor zwei Wochen am Eiger noch besser und doch fing es am morgen zu regnen an, was niemand vorausgesagt hatte:



Wenn bei der SBB von einer tiefen Belegung die Rede ist, heisst das noch gar nichts. Heutzutage kann man kaum mehr irgendwohin, wo nicht auch die halbe Welt hin will.

Wir fuhren tüchtig kohlehydrat-essend ins Engadin, bezogen um halb vier das Zimmer in der Jugendherberge und sahen uns in St. Moritz um. Wo es recht kühl war auf 1800 Meter und ein zügiger Maloja Wind blies. Ich brauchte jedenfalls bereits meine Windstopper Jacke, während andere noch in T-Shirts herumliefen. So haben wir alle eben verschiedene Thermostate.

Die vom Tourismusbüro waren nicht gerade freundlich, als wir uns nach der Startnummernausgabe erkundigten. Sorry, wir sind halt keine Alt-oder Neureichen. Und wir gehen auch gleich wieder.

Nach Kaffee beim Hanselmann, schauten wir uns um nach einem Restaurant und landeten bei Hauser, wo draussen eine Jazzband spielte. Die angeschlagene Menu Karte war für uns Vegi-Läufer nicht einladend, aber drinnen entdeckten wir Rösti und bestellten gleich zwei Portionen mit wenig Käse und wenig Tomaten.

Zuerst mussten wir aber noch übernachten und da wäre noch das mit dem Blutmond. St. Moritz war eine von, so glaub ich, drei Gemeinden in der Schweiz, wo er wegen Wolken nicht oder erst sehr spät zu sehen war. Was für ein Glück, wir waren die Auserwählten, die ihn nicht sehen konnten. Nur alle 100 Jahre kann man ihn verpassen.

Am Morgen hatte ich das Gefühl, keine zusammenhängende Stunde geschlafen zu haben. Um sechs gab es die mit Wasser angerührten Haferflocken mit Rosinen im Bett liegend. Da mussten die einen schon auf den Zug hetzen, um von Davos nach St. Moritz zu fahren.

Fabian, der Ehemann meiner Tochter, meldete sich nun per Whatsapp definitiv ab vom 39er, der am Abend um 20 Uhr in Bergün starten würde. Er hatte sich erkältet und die Ferse tat ihm vom Tennis-Spielen zu fest weh.

Wir fuhren mit dem Bus in 10 Minuten an den Start, Aselia konnte sogar etwas essen vor dem Start, was ihr selten gelingt und wir trafen noch Martin Hochuli, der sich vorne einreihte, während wir uns weit hinten wohler fühlten. Zusammen mit Hans-Ruedi, dem Mitkämpfer vergangener Irontrails. 

Wir liefen mit der Meute gen Pontresina los.



Der Himmel war bedeckt, es war frisch, wir starteten ja auch auf 1800 Metern. Rauf und runter auf einem breiten Spazierweg ging es nach Pontresina. Ab da sanft aufsteigend auf den Muottas Muragl. Die Segantinihütte blieb uns verwehrt, ersparte uns aber auch einige Höhenmeter.



Die Aussicht mit Wolken und blauem Himmel vom Muottas Muragl ist einfach sagenhaft. Die Berge, die Seen, die Alphornbläser.

Nun kam der schönste Teil des ganzen T88: 
               
                                     Der Downhill nach Samedan 

Sameden ausgesprochen auf Rätoromanisch, Samaden auf Deutsch, nur ja nicht Samedan sagen.

Ich erkannte meine Tochter nicht mehr, bisher war das nicht ihre Stärke, doch jetzt überholte sie laufend und führte ein munteres Trüppchen an, das in bester Laune die Höhenmeter vernichtete.



Vor Samedan holten wir Tanja und Matthias ein und kamen mit ihnen ins Gespräch. Der Beginn eines der unterhaltsamsten Läufe, die ich erleben durfte. Immer wieder trafen wir Läufer/innen und kamen mit ihnen ins Gespräch oder erkannten Läufer/innen von anderen Läufen wie Max, dem wir letztes Jahr mit Salztabletten ausgeholfen hatten.
  
Wir verpflegten uns mit den besten Teigwaren, die ich bisher an einem Lauf gegessen hatte, sprachen mit der Frau, die auf den blinden Läufer wartete mit dem Blindenhund, der mir den ganzen Unterarm abschleckte. Ich hätte ihn am liebsten mitgenommen.

Wir schlossen uns Tanja und Matthias an und joggten ins Bever Tal bis Spinas. Wie vergeht die Zeit, wenn man miteinander schwatzen kann. Und was wir alles zu erzählen haben: Wir Männer von unseren Heldentaten, Training, Schuhe usw. Die Frauen hinter uns von der bevorstehenden Hochzeit.



Dann kam die Wand, die ich bisher nur runter gelaufen war und die doch eigentlich gleich enden sollte. Nein, noch eine Wendung…..aber jetzt…. nein, noch weiter hinauf……siehst du die Leute dort weit oben….das könnte es sein…………..



Wir kämpften uns hoch, schon nicht mehr so frisch wie auf den ersten Berg.

Damit war der zweite Aufstieg geschafft, nur noch einer. 



Jetzt ging es hinunter nach Naz, technisch zwar, aber gut machbar, auch wenn der eine fluchte wie ein Rohrspatz. Andere hingegen war gut drauf, speziell Frank von trailrunning.de. Ich musste lachen, als er von seinen Bierflaschen erzählte, die im Kofferraum im Ziel auf ihn warteten, alkoholhaltig, alles andere sei kein Bier. Einen regelrechten Lachanfall hatte ich ab seinen Halluzination von dickbauchigen Gläsern mit Schaum drauf. 




Und da trafen wir noch auf Andreas Sprecher, dessen Oberschenkel nichts mehr hergaben und der in Bergün aufhören wollte. Später stellte sich heraus, dass er der Andreas Sprecher ist, der Vierter geworden war an der Olympia-Abfahrt 1972 in Sapporo. Da, wo fast die ganze Schweiz Montag morgens noch vor dem Morgengrauen vor dem Fernseher hockte und unseren Jungs in der Ferne zujubelten:





Und Naz ist eben Naz, einer der besten Verpflegungsposten der Welt. Da wo man mit Kuhglocken begrüsst wird und selbst gebackene Muffins auf einem warten.



Wenn dann noch Frank und Andreas und weitere Läufer/innen zum Scherzen aufgelegt sind, kann das Leben doch nicht schöner sein.

Vor Bergün zogen dunkle Wolken auf. In Bergün konnten wir unser abgegebenes Gepäck abholen. Ich zog mir neue Kleider an, lud die Batterien der Uhr und des Phone auf.



Die Läufer für den 39er standen bereits an der Startnummerausgabe an. Wir mussten uns leider nicht nach Fabian umsehen

Draussen ging ein tüchtiger Regen nieder, also Regenhosen und Regenjacke anziehen.

Als wir uns nach einer längeren Pause aufmachten, regnete es kaum noch, also Regenhosen wieder runter, alle Jacken abziehen und weiter ging es hinauf Richtung Keschhütte. Was ich verdrängt hatte, war, dass wir Höhenmeter gewannen, diese aber wieder abgaben bevor es dann wirklich hinauf ging zur Keschhütte.

Es war uns schon nicht mehr nach joggen, selbst als es flach und breit war. Wir wanderten mit einer Türkin, die den 127er lief und die Punkte für den UTMB benötigte in den Sonnenuntergang hinein.



Ok, der fand in unserem Rücken stand, schön war es dennoch.





Jetzt kam die Müdigkeit. Zwei Wochen nach dem Eiger, fast nichts geschlafen in der Nacht vorher, wieder mal zu wenig gegessen für die über 12 Stunden, die wir nun unterwegs waren, zwei Teller Teigwaren, zwei Cliff Bars, dazu immer wieder Gels und Cola.

Viel zuwenig. Sollten ja 200-300 Kalorien sein pro Stunde, 3'000 bis hierher. Wer kann das schon essen und dann auch noch verdauen?

Unterwegs traf ich einen Arzt, dem es sichtlich nicht gut ging. Ich bot ihm Gels an, doch da er seit Jahren keinen Zucker mehr zu sich genommen hat, musste er verzichten.

Wie kann man ohne Cola einen Lauf schaffen?

Danach ging es runter, was weh tat. Jeder Meter hinunter hiess, ein Meter mehr hinauf. 

In einer Senke lag der Verpflegungsposten vor der Keschhütte. Jetzt schon im Dunklen.

Der Aufstieg zur Kesch Hütte wurde zur mentalen Sache. Was mich am Laufen hielt, war die Aussage vom letzten Verpflegungsposten, dass man sich in der Keschhütte hinlegen kann. Zeit hatten wir massenhaft.

Also Schritt für Schritt nach oben. Endlich kam sie in Sicht, aber sie war noch so weit weg. Ich kämpfte mich mit Schwindel hoch und oben in der Kälte und Dunkelheit angekommen, hiess es, dass sie keine Better haben.
Einer erbarmte sich meiner und meinte, bei der Sanität könne man sich hinlegen und führte mich hin. Dort hiess es zuerst, die Matratzen am Boden seien für Notfälle. Doch wieder halfen meine blauen Augen ich durfte mich hinlegen. Meine Tochter lag auf die zweite Matratze, doch bald begannen wir zu schlottern in der Kälte. Meine Tochter stand nach einigen Minuten auf und holte mir Bouillon.

Jetzt kam das Wunder von Kesch. Innerhalb von zehn Minuten erholte ich mich so, dass an ein Weiterlaufen zu denken war. Draussen vor der Sanität hockten die anderen Läufer/innen auf einer Bank und schlotterten ebenfalls. Nur die frechen gingen in der Hütte hinauf in die Wärme, denen unten zeigte ich die beiden nun leeren Betten am Boden. Leise mussten wir sein, da oben die Gäste der SAC Hütte schliefen.

Die Sanitäter waren inzwischen weg, ein Läufer hatte Herzprobleme unterhalb der Hütte.

Sobald ich mich wieder bewegte, fror ich nicht mehr und beim Hinunterlaufen kamen meine Lebensgeister zurück. Das hielt gut fünf Minuten an.

Wieder begann der Kampf, nun hinauf zum Sertigpass (Betonung auf der letzten Silbe). 

Auf dem Sertigpass machten sie Naz Konkurrenz: Es gab Risotto, die war sogar vegetarisch und sie hatten ein Feuer angemacht. Es war so schön dort oben, aber so langsam wollten wir die Sache hinter uns bringen und machten uns mit dem Schweizer Ehepaar, das wir in Innsbruck kennen gelernt hatten, an den Abstieg.

Der Mond schien helle, aber nicht so wie in der vorhergehenden Nacht, wo die 127er, wie sie berichteten, fast ohne Stirnlampe auskamen.

Nach dem technischen Teil konnten wir sogar wieder joggen, die Magie der nahenden Ziellinie.

In Sertig Dorf, dem letzten Verpflegungsposten, wurden wir morgens um vier Uhr stürmisch begrüsst. Von allem von einem jungen Herrn. Als ich ihn mir näher betrachtete, fiel ich fast um vor Überraschung. So perplex war ich schon lange nicht mehr. Und das war kein Vergleich zu dem, wie er kurz darauf seine etwas weiter hinten laufende Ehefrau überraschte.



Fabian fuhr nun mit dem Fahrrad wieder zurück nach Davos, wo ja auch meine Ehefrau wartete, die im Zielgelände vom Samstagabend bis Sonntagmorgen als freiwillige Helferin den Finishern zu essen und zu trinken gab.

Die unerwartete Begegnung gab uns tüchtig Aufschwung. Das hielt bestimmt 10 Minuten an.

Der Trail nach Davos wäre ein Zuckerschlecken. Ein sanftes auf und ab auf Waldbodenuntergrund. Wenn man vorher nicht schon über 70 Kilometer und einiges mehr als 3'000 Höhenmeter in den Beinen gehabt hätte.

Wir kamen in Clavadel an und sahen ins Tal, wo eigentlich Davos sein müsste. Nur war davon nichts zu sehen, ausser einem kleinen Nebelmeer. Der Davoser sagt dem Dunst, für uns war es dicker Nebel. Aber es stimmt schon, ist man mal im Nebel ist die Sicht gar nicht übel.



Wir liefen die Runde im Stadion, nahmen die Medaille von Ehefrau und Mutter entgegen und gingen duschen. Ohne Bier, das war ausgegangen. Da kann Frank nur lächeln. Ich nicht.

Dafür gab es noch warmes Wasser unter der Dusche und was Weltklasse war:

                 Eine wohltuende Massage morgens um sechs


Von einem Massageteam, das auch schon bald 18 Stunden im Einsatz war. Top, ihr Leute.

Mit dem Zug ging es nach Hause, immer wieder gegen den Schlaf kämpfend aber glücklich, stolz das verdiente T-Shirt tragend.

Was soll man sagen? Ich habe eine Rangliste meiner schönsten Ultraläufe zusammengestellt (und es sind doch mittlerweile schon über 30):

1.      2017 Irontrail 133er mit Aselia und Fabian
2.      2016 Irontrail 201er
3.      2018 Irontrail   88er mit Aselia

Und alle sind sie von Andreas Tuffli organisiert worden. Danke, Andreas.

Was den Lauf in diesem Jahr ausgezeichnet hat, waren vor allem die interessanten, lustigen und herzlichen Begegnungen mit anderen Läufer/innen.

Ich hoffe, ich kann noch lange mit euch mittun.

Strava

offiziell: 84.9 km / 3'641 Höhenmeter


Strava:   89.0 km / 3'877 Höhenmeter


Fotofilm


Downhill and Sunset


16 Min.Video