Mittwoch, 19. Juli 2017

2017 Eiger Ultra Trail - 101 Kilometer - 6700 Höhenmeter



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Bis zum Bieler hatte sich der mittlere Gesässmuskel (gluteus medius) wieder entspannt. Nach dem Bieler meldete sich der Hüftbeugermuskel (psoas major), auch mit einer Verspannung. Ich verkleinerte das Trainingspensum und an keinem Trainingslauf war ich schmerzfrei. 

Der Physio Therapeut setzte die schmerzhafteste Methode ein, die ich kenne, Dry Needling. Läuft weit weg, wenn euer Physio Therapeut mit sowas kommt. Fünf Zentimeter lange, feine Nadeln werden in den Muskel gesteckt.

Zwei Wochen vor dem Eiger ging ich trainingshalber nur noch aufs Velo.

Mein Neffe, Adrian, wollte mit mir laufen und er stellte sich eine Zeit von 20 Stunden vor. Ich korrigierte die Erwartungen auf 22 Stunden. Dazu kam Marc aus Stuttgart, den ich von zwei Irontrail Läufen kenne und der in Biel 20 Kilometer lang mit uns lief.

Er wollte den Eiger langsamer angehen.


Samstag, 02:30 Uhr
Haferflocken und Rosinen in Wasser aufgelöst, dazu eine Banane.



Samstag, 04:10 Uhr
Wir laufen vom Hotel zum Start, geben das Gepäck ab für Burglauenen und stehen ein



Samstag, 04:30 Uhr

Wir laufen los, nach 100 Metern fällt mir die Sonnencreme aus dem Rucksack auf den Boden. Ohne bin ich aufgeschmissen, ich muss zurück, ich versuch so gut wie möglich den mir entgegen laufenden Teilnehmern auszuweichen, um die Tube wieder vom Boden aufzulesen. Danach ist Adrian verschwunden.

Ich muss Gas geben und finde ihn nach einem kurzen Sprint. Das fängt ja schon gut an.

Samstag, 05:30 Uhr

Meditativ laufen wir als Tatzelwurm Richtung Grosse Scheidegg.





Es wird schon bald hell und oben auf der Strasse ist ein Hirte mit seinen Geissen ebenfalls auf dem Weg nach oben. Die Geissen scheren nun aber aus und laufen uns Läufern nach, was dem Hirten gar nicht passt. Der Border Collie gibt sich bellend alle Mühe, doch es sind zu viele Geissen, die schon auf dem falschen Weg neben uns her trotten.





Samstag, 06:20 Uhr

Der erste Verpflegungsposten auf der grossen Scheidegg. Der Wind bläst uns um die Ohren, es ist bitterkalt, Jacke anziehen und nur schnell weg von hier.

Noch immer begleiten uns die Geissen. Was nicht immer lustig ist. Bei engen Brücken drängen sie und stürzen über Felsen nach vorn, um vor uns über die Brücke laufen zu können.

Samstag, 06:55 Uhr
Es geht runter nach Bort, die erste Prüfung für unsere Oberschenkelmuskeln.

Samstag, 07:25 Uhr

Sim überholt uns, ein Kanadier, der in Genf lebt und den ich schon öfters an Läufen angetroffen habe.
Ich laufe noch immer mit Adrian, das Tempo ist zügig. Wir treffen Johann, einen Schweizer, der vor 30 Jahren als Bauer nach Tasmanien ausgewandert ist und Ferien macht in der Schweiz. Und warum nicht noch einen Ultra laufen?



Samstag, 08:45 Uhr
Wir laufen über den Skywalk zum Verpflegungsposten auf dem First. Noch fühlen wir uns gut, die Schmerzen im Hüftbeuger sind verschwunden, warum auch immer.



(Eventuell lag es an diesem Sprung für den Fotografen,
zuerst tat der Hüftbeuger nach dem Sprung noch mehr weh, nach
einer halben Stunde war der Schmerz weg)

Samstag, 09:45 Uhr
Wir stärken uns vor dem Aufstieg aufs Faulhorn, ich dränge auf einen kurzen Aufenthalt. Es läuft so gut, das will ich ausnützen. Vor der Verpflegungsstation Feld liefen wir letztes Jahr in langsamen Kolonnen, ein Überholen war nicht möglich, jetzt da wir weiter vorn im Läuferfeld sind, ist das Tempo auch zügiger. Herrlich.


Samstag, 10:00 Uhr
Jetzt ist meine Frau gestartet, sie läuft den E16 und wird am Abend im Festzelt aushelfen. Leider sind die Chancen minim, dass wir ins Ziel kommen, während sie noch aushilft bis Mitternacht.

Samstag, 11:00 Uhr
Nach einem gut stündigen Aufstieg müssen wir auf dem Faulhorn auch nicht anstehen wie letztes Jahr. Ich hatte meine Salztabletten verloren, Adrian half mir aus. Nach kurzem Aufenthalt machen wir uns auf auf die nie endende Strecke nach der Schynigen Platte.

Samstag, 13:00 Uhr
Fast zwei Stunden brauchen wir für die 10 Kilometer. Keine Ahnung wieso. Klar hat es technische Passagen, aber es läuft flow mässig richtig gut. Und kein Schnee in diesem Jahr, ja nicht mal nass ist die Strecke. Trotz Regen am Freitag.





Samstag, 14:40 Uhr
Wir benötigen 9 Stunden 30 Minuten für die ersten 50 Kilometer. Vielversprechend.

Auf dem Weg hinunter zum tiefsten Punkt nach Burglauenen treffen wir Martin Hochuli, der in seinem tollen Blog ausführlich über seine Abenteuer berichtet und seinen Weg zu seinem 2. UTMB am 1.September 2017.






In Burglauenen lassen wir uns Zeit. Adrian wird von seiner Freundin, Claudia, bedient, für mich spielt Felix, ein bewährter Laufpartner vom Irontrail, den Laufburschen. Es gibt Wassermelonen und Kartoffeln. Für Cola sei es noch zu früh, meint Claudia. Marc sei kurz vor Burglauenen, das erstaunt uns, ist er damit doch recht schnell unterwegs.


Christian fehlt. Plan war, dass er uns hinauf bis nach Wengen begleitet. Wo ist Christian? 
Letztes Jahr war ich erst kurz vor 17 Uhr in Burglauenen. 
Christian hat wohl mein Whatsapp für einen Scherz gehalten, dass wir bereits um 14.30 Uhr ankommen.
So laufen wir los ohne Christian.

Samstag, 17:00 Uhr
Irgendwann muss die Krise ja kommen und sie trifft mich härter als Adrian. Der Aufstieg nach Wengen wird zur Geduldsprobe. Wengen kommt nie. Bis hierhin war ich im Trail-Himmel, die Bedingungen waren optimal, ich fühlte mich gut und stark, die Strecke war traumhaft schön, es war himmlisch. Ich konnte juchzen vor Freude.


Und jetzt die Krise. Ich nehme beim Aufstieg das erste Mal Cola, zusammen mit Salzstängel. Das bewährte Mittel vom Bieler. Es nützt auch hier, wenn auch nicht so stark.

In Wengen leg ich mich bei der Sanität kurz hin. Ich kann noch essen, das macht Mut.



Wir laufen los, eine knappe Stunde lang geht das gut, danach kommt der Schwindel. Schnell einen Schluck Cola. Es hilft aber nicht mehr. Ich kämpfe mich die restlichen 400 Höhenmeter nach oben. Adrian kommt zügiger voran. Ich bemühe mich. Und wie immer in solchen Momenten denk ich mir, dass ich das falsche Hobby gewählt habe. Wieso nicht golfen, wieso nicht fischen? Und warum nicht den 51er? Wieso muss es immer das Maximum sein?

Nach dem Lauf kenn ich die Antwort und freu mich bereits auf die nächste Plackerei. Was kann uns in unserem sonst wohlbehüteten Leben eine solche Befriedigung geben wie ein Finish bei einem eigentlich wahnsinnigen und oft aussichtslosen Projekt wie dem 101er in Grindelwald?

Samstag, 19:00 Uhr
So früh war ich noch nie auf dem Männlichen. Drei Stunden vor Streckenschluss. Aber ich fühl mich elendiglich wie in all den Vorjahren.

Viermal gestartet, dreimal gefinisht, aber auch dreimal auf der Liege gelandet auf dem Männlichen.

Ich leg mich bei der Sanität wieder auf ein Bett. Dem Arzt schildere ich, wie mir schwindlig ist und nichts mehr essen kann. Aber ich wolle nur eine halbe Stunde abliegen und dann weiter laufen.

«Wenn der Körper nein sagt, dann sagt er nein» und der Arzt lässt die Instrumente für eine Infusion kommen.

Damit wär ich definitiv aus dem Rennen. Ich wehre mich, er soll mir 20 Minuten geben. Der Arzt sagt, dass er mich auch ohne Infusion aus dem Rennen nehmen kann. Ich finde mich schon so halb damit ab, das ist höhere Macht. Das kann und muss ich akzeptieren.




Marc ist inzwischen angekommen, er ist stark unterwegs und ich bitte Adrian, mit ihm weiterzuziehen. Mein Schicksal sei zu ungewiss. Schweren Herzens verabschiedet er sich.

Jetzt kommt mir der Trail-Gott zu Hilfe, bei der ich einen speziellen Platz haben muss in ihrem Herzen. Sie schickt mir den Kardiologen, Max, mit dem ich am Irontrail gelaufen bin. Der war gestürzt und will sich auf dem Männlichen verarzten lassen. Ich spreche ihn an und überrede den Arzt vom Männlichen, mich mit dem Kardiologen ziehen zu lassen. Auf diesen Deal lässt er sich glücklicherweise ein.







Samstag, 23:00 Uhr
Auf der kleinen Scheidegg muss ich mich wieder hinlegen. Ich hatte seit Burglauenen nichts gescheites mehr essen können, mir kommt gleich ein Würgereflex. Mir fehlt die Energie. Hinlegen und abwarten.
Die Ärztin und ihr Team auf der kleinen Scheidegg sind grossartig, sie haben viel Verständnis und lassen mich machen. Ich bekomme Motilium für den Magen und überwinde mich, Nuss-Stängeli und Salzstängeli mit Cola herunterzuspülen.



Ich muss Max ziehen lassen und finde mich schon damit ab, es wenigsten bis zur kleinen Scheidegg geschafft zu haben.

Da kommt mir zum zweiten Mal in diesem Lauf der Trail-Gott zu Hilfe.

Am Freitag vor dem Lauf sprach uns ein Ehepaar an, weil sie mich erkannten von den YouTube Videos. Die Frau, Irene, sieht mich in der Sanität und als später Clive zum Verpflegungsposten kommt, den sie ebenfalls aus meinen Videos kannte, geht sie auf ihn zu und sagt ihm, dass ich hinten in der Sanität liege.
Clive kommt daraufhin zu mir und begrüsst mich. Ich bitte ihn, bevor er loslaufen wird, nochmals bei mir vorbeizukommen. Entgegen aller Vernunft stehe ich auf und mache mich bereit. Beim Herauslaufen mit Clive sehe ich Sim, der aber nicht mitkommen will, weil er erst gerade angekommen sei.

Bei den ersten Schritten draussen fühl ich mich so elend, dass ich Clive sage, dass ich zurückkehren muss.

Da kommen vier, fünf Romands lautstark und ausgelassen daher und die haben so eine gute Stimmung und laufen Clive hinterher, dass mich das beim Zurücklaufen zum Verpflegungsposten wie in einem Sog mitnimmt und ich Clive nach vorne rufe, dass ich doch mitkomme.

Es geht leicht nach unten, da kann ich mich zusätzlich erholen und als es wieder hinaufgeht bis zur Station Eigergletscher, zum Teil auf der Moräne, fühl ich mich wieder einigermassen ok.

Da beginnt jedoch die Leidenszeit von Clive. Er hat Mühe mit den Höhenmetern, kommt vorwärts wie ein Mount Everest Besteiger auf den letzten Metern. Er habe seit Burglauenen nichts mehr essen können. Er ist besorgt, wegen den Schlusszeiten. Doch da kann ich ihn beruhigen. Wir hätten Zeit genug.

Wie zwei Zombies bewegen wir uns durch die Nacht.

Sonntag, 01:50 Uhr
Auf dem Eiger Trail, sobald es bergab geht, sind wir wieder schnell unterwegs, wir überholen nur. Keine Ahnung woher die Kraft gekommen ist. Jetzt geniesse ich es. In Alpiglen gibt es Cola und Bouillons, bei allem anderen verweigert sich der Körper.



Nach Alpiglen ist es jedoch vorbei. Wir haben keine Kraft mehr in den Muskeln, wir können nicht mehr bremsen. Zum Glück ist es dunkel und es sieht uns kaum jemand beim gestabigen Herunterlaufen.

Unten vor dem Marmorbruch erzählen sie was von 70 Höhenmetern bis zum nächsten Verpflegungsposten. Das muss der Nettowert sein, wir laufen sicher 300 Höhenmeter hinauf und 230 wieder hinunter.

Verlass dich nie auf Einheimische, die haben ganz andere Vorstellungen von Raum und Zeit!

Hier verliere ich den Anschluss, Clive läuft den Romands hinterher, die wir immer wieder angetroffen haben. Ich mag nicht mehr und der Verpflegungsposten will und will nicht kommen.



Sonntag, 03:20 Uhr
Wir sind am Marmorbruch und müssen nur noch hinauf auf die Pfingstegg. Ist einfach gesagt, sie beruhigen uns, es seien nur noch 300 Höhenmeter. Das hört sich nach wenig an, nach allem was wir gemacht haben, doch es sind mitunter die steilsten Höhenmeter.

Sonntag, 04:20 Uhr
Wir sind platt. Null Energie. Null Lust. Null Kraft in den Beinen. Dafür ist der Schwindel schon seit Stunden verschwunden, hat aber einem Gefühl Platz gemacht, dass nicht viel besser ist. Eine Mischung aus Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Unlust und Leere. Gut bin ich mit Clive unterwegs, wir geben uns gegenseitig Mut.

Sonntag, 05:45 Uhr
Wir brauchen eine halbe Stunde länger nach unten als all die anderen. Wir können noch immer kaum bremsen mit unseren Beinen auf den steilen Wegen nach unten.





Vor dem Ziel treffen wir noch auf Thomas Traub, den wir bereits auf der Strecke angetroffen hatten, bevor es runtergeht nach Bort, und der ein Fan meiner Videos ist. Seine Frau hat ihn, soviel ich verstanden habe, durch die ganze Nacht begleitet ab dem Männlichen. Es war auch eine lange Nacht für die beiden.

Vor dem Finish überlassen wir den beiden den Vortritt, geben meiner Frau Zeit, damit sie unseren Zieleinlauf filmen kann. Wir schauen vom Holzgerüst hinunter, endlich sicher, es zu schaffen.

Nach unglaublich langen 25 Stunden und 15 Minuten laufen wir gemeinsam über die Ziellinie.



Sim kommt als letzter gewerteter Läufer kurz nach uns ins Ziel.

"Why pay 175 Swiss Francs and finish in 11 hours, when you can enjoy the ride as long as 26 hours?"



Hier ein Vergleich der mir bekannten Läufer mit dem Sieger. Dieser benötigte nur an zwei Teilstrecken mehr als eine Stunde.
Ich bei 10 Teilstrecken und bei 4 Teilstrecken sogar mehr als zwei Stunden.



Sieger Adrian Stefan Marc Max Clive Richard Sim
h min h min h min h min h min h min h min h min
Bort 1 45 2 55 2 42 3 2 2 54 3 19 2 55 2 57
First 42 1 22 1 10 1 16 1 20 1 22 1 18 1 18
Feld 37 59 1 3 1 7 1 8 1 12 1 2 1 11
Faulhorn 42 1 14 1 22 1 29 1 27 1 35 1 16 1 31
Schynige Platte 58 1 51 1 48 2 3 1 50 2 18 1 51 2 6
Burglauenen 55 1 38 1 29 1 50 1 40 1 49 1 39 1 43
Wengen 1 4 2 39 2 14 2 17 2 53 2 27 2 34 2 42
Männlichen 57 1 55 1 49 1 47 1 58 1 57 2 1 2 14
Rost 19 1 8 48 45 1 6 40 1 40 1 14
Lauberhorn 14 24 24 26 26 32 26 34
Kl.Scheidegg 30 47 53 58 1 3 1 18 1 3 1 16
Eigergletscher 31 60 1 17 1 4 1 22 1 33 2 16 1 38
Alpiglen 32 50 1 11 1 18 1 7 1 10 1 10 1 46
Marmorbruch 35 1 10 1 21 1 29 1 20 1 39 1 40 1 51
Pfingstegg 20 33 46 42 41 1 59 49
Ziel 19 40 45 50 41 1 16 1 16 52
2 540 11 605 13 482 15 443 15 476 18 427 18 426 17 522
Total 11:01 21:05 21:10 22:32 23:04 25:15 25:15 25:47


Herzlichen Dank an Adrian, Max, Clive und all die anderen Verrückten.

Herzlichsten Dank allen Helfern und Organisatoren.

Die nächsten Abenteuer:

28. Juli 2017:             Irontrail T133 von St.Moritz nach Davos
01. September 2017: UTMB

 



1 Kommentar:

  1. Sehr schöner Bericht und - wie immer - ein toller Film vom Event. Herzlichen Glückwunsch zum Finish! Wir waren auch mit 3 Leuten beim Eiger Ultra - 2xE35, 1xE101. Und auch Erik, der den E101 gelaufen ist, hat mitbekommen, dass eine solche Strecke praktisch nicht ohne Tiefpunkte geht (wobei er seine Tiefpunkte auf der ersten Streckenhälfte hatte). Finde es super, dass Du so nette Leute gefunden hast, die Dir beim Finish "geholfen" haben - wenn auch oft "nur" moralisch. Unsere Erfahrungen findest Du hier: trailrunningnordwand.blogspot.de

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